Literatur-ReviewZahlreiche Umgebungsfaktoren können chronisch-entzündliche Darmerkrankungen fördern
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind durch eine chronische, progrediente immunvermittelte Entzündung des Gastrointestinaltrakts gekennzeichnet. Die Ursachen sind nicht vollständig geklärt. Der Hypothese zufolge entwickelt sich die Autoimmunerkrankung bei Personen mit genetischer Prädisposition vermutlich im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren, Veränderungen des Darm-Mikrobioms und einer Dysregulation der Immunantwort. Kanadische Wissenschaftler informieren in einer Übersichtsarbeit über die derzeitigen Evidenzen zu sog. „environmental risk factors“ wie Lebensstil und Hygiene oder Einnahme bestimmter Medikamente, die zur Entstehung einer CED beitragen können [1].
Vulnerable frühe Kindheit
Die Pränatalphase und die frühe Kindheit bis zum 5. Lebensjahr können Wegbereiter einer CED sein. In einem systematischen Review mit Meta-Analyse wurde eine Antibiotika-Exposition innerhalb des ersten Lebensjahres mit einem 1,8-fach (OR = 1,8; 95% CI = 1,2 – 2,5), Passivrauch-Exposition mit einem 1,5-fach (OR = 1,5; 95% CI = 1,2 – 1,9) und eine früh aufgetretene Otitis media mit einem rund 2-fach (OR = 2,1; 95% CI = 1,2 – 3,6) erhöhten CED-Risiko verbunden. Eine Windpocken-Infektion wurde mit einem fast 4-fach (OR = 3,89; 95% CI = 1,61 – 9,4) erhöhten Risiko für Morbus Crohn (MC) assoziiert.
Zu den protektiven Faktoren zählt nach den Daten einer weiteren MetaAnalyse Stillen, sowohl in Bezug auf MC (OR = 0,71; 95% CI = 0,59 – 0,85) als auch Colitis ulcerosa (CU, OR = 0,78; 95% CI = 0,67 – 0,91). Dabei zeigte sich auch ein temporärer Zusammenhang. Langes Stillen von über 12 Monaten Dauer war im Vergleich zu einer Stilldauer von 3 oder 6 Monaten mit einer Risikoreduktion um rund 80% verbunden.
Die Hygiene-Hypothese, seit Jahrzehnten diskutiert als Einflussfaktor für allergische Erkrankungen, scheint in gleicher Weise auch für das CED-Risiko zu gelten. Eine Kindheit in ländlicher Umgebung, Kontakt zu landwirtschaftlichen Nutztieren oder Haustieren und das Teilen des Bettes mit Geschwistern, erwiesen sich in retrospektiven Studien als protektiv. Dagegen wurde ein Aufwachsen in städtischer Umgebung mit einem erhöhten CED-Risiko assoziiert. Unklar ist der Einfluss von Impfungen.
Medikamenten-Exposition
Antibiotika können potenziell zur Dysbiose und Dysregulation der Immunantwort führen. In vielen Studien konnte bereits ein Zusammenhang zwischen Antibiotika-Exposition und einem erhöhten CED-Risiko, insbesondere für MC, belegt werden. In einer Meta-Analyse zeigte sich dies besonders deutlich bei Kindern: Das MC-Risiko nach Antibiotika-Exposition war bei ihnen fast 3-fach erhöht (OR = 2,75; 95% CI = 1,72 – 4,38), in der Gesamtgruppe war das Risiko hingegen weniger als 2-fach erhöht (OR = 1,74; 95% CI = 1,35 – 2,23) [1].
Aktuelle Studien bestätigen den Zusammenhang zwischen Antibiotika-Exposition und erhöhtem MC- als auch CU-Risiko. Laut dänischen Registerdaten zu 52.898 neuen CED-Fällen war eine Antibiotika-Exposition ab dem Alter von 10 Jahren ein Risikofaktor. Am ausgeprägtesten war die Assoziation in der Altersgruppe der 40- bis 60-Jährigen und der über 60-Jährigen mit einer Risikoerhöhung um etwa das 1,5-Fache [2]. In der Analyse zeigte sich auch eine kumulative Dosisabhängigkeit. Am deutlichsten waren die Risikoerhöhungen 1 – 2 Jahre nach Antibiotika-Exposition und bei Einnahme von Antibiotika, die üblicherweise zur Behandlung von Magen-Darm-Infektionen eingesetzt werden [2]. Mit Ausnahme von Schmalspektrum-Penicillinen waren alle Antibiotikagruppen mit einer Erhöhung des CED-Risikos verbunden [1].
In einer weiteren aktuellen Kohortenstudie [3] bei 133.337 Personen zwischen 20 und 80 Jahren aus 24 Ländern mit einem Follow-up von mindestens 3 Jahren (im Median 11 Jahre) war die Einnahme von Antibiotika mit einem fast 3-fach erhöhten Risiko für das Neuauftreten einer CED assoziiert.
Auch andere Medikamente sind relevant für die Entstehung einer CED, wie diese Studie verdeutlicht. Die Einnahme von Hormonpräparaten war mit einem mehr als 4-fach, die Einnahme oraler Kontrazeptiva (früher oder gegenwärtig) mit einem mehr als doppelt so hohen Erkrankungsrisiko verbunden. Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) erhöhten das CED-Risiko insgesamt auf das 1,8-Fache, bei Langzeiteinnahme auf mehr als das 5-Fache. Die Risikoerhöhungen galten dabei gleichermaßen für MC und CU.
Ernährung
Auch die Ernährung kann das CED-Risiko beeinflussen. In einer Meta-Analyse von 14-Fallkontrollstudien korrelierte ein höherer Konsum von Obst mit einem verringerten Risiko für MC (OR = 0,57; 95% CI = 0,44 – 0,74) und CU (OR = 0,69; 95% CI = 0,49 – 0,96). Ein höherer Konsum von Gemüse hatte einen protektiven Effekt gegenüber CU (OR = 0,71; 95% CI = 0,58 – 0,88), aber keinen statistisch signifikanten Einfluss auf MC (OR = 0,66; 95% CI = 0,40 – 1,09). Positive Daten gibt es für eine protektive Wirkung von Ballaststoffen gegen MC. In einer Meta-Analyse nahm das MC-Risiko mit jeder Zunahme der Ballaststoffzufuhr um 10g täglich um 13% ab (p < 0,05) [1].
Gastrointestinale Pathogene
Schließlich scheint auch die Keimbesiedelung im Magen-Darm-Trakt für das Erkrankungsrisiko relevant zu sein. Eine Besiedelung mit Helicobacter pylori etwa wurde mit einem um mehr als 50% verringerten CED-Risiko assoziiert (OR = 0,43; 95% CI = 0,36 – 0,50). Viren und Pilze, sowie eine Besiedelung mit Amöben und Toxoplasma gondii korrelierten mit einem erhöhten CED-Risiko. Im Gegensatz dazu war der Nachweis von Trichuris suis, Hymenolepis diminuta, Schistosoma species und Nector americanus mit einem verringerten Risiko verbunden [1].
Fazit |
Bei der Pathogenese von CED gibt es Interaktionen mit Umweltfaktoren, die sowohl das Risiko erhöhen als auch protektiv wirken können. Weitere Studien sind notwendig, um daraus auch Empfehlungen für die Praxis ableiten zu können. |
- [1] Singh N, Bernstein CN: Environmental risk factors for inflammatory bowel disease. United European Gastroenterol J 2022; 10: 1047–1053; Kurzlink: iww.de/s7780
- [2] Faye AS, et al.: Antibiotic use as a risk factor for inflammatory bowel disease across the ages: a population-based cohort study. Gut 2023, epub January 9; Kurzlink: iww.de/s7781
- [3] Narula N, et al.: Associations of Antibiotics, Hormonal Therapies, Oral Contraceptives, and Long-Term NSAIDS With Inflammatory Bowel Disease: Results From the Prospective Urban Rural Epidemiology (PURE) Study. Clin Gastroenterol Hepatol 2022, epub December 16; Kurzlink: iww.de/s7782
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